von Lisa-Viktoria Niederberger
In einer sich massiv erhitzenden, von Extremwettern und bürgerkriegsnahen Zuständen geplagten gefährlichen und unsicheren Welt, die der unseren erschreckend ähnlich ist, stellt die Protagonistin von „Der Wald“, meinem mit dem Frau Ava Preis 2025 prämierten Kurzprosatext, sich dagegen. Sie tut das, indem sie etwas macht, was nicht dem Überleben dient, dass für sie und ihre Partnerin keine direkten Vorteile bringt. Sie beteiligt sich nicht am Holzdiebstahl, nicht an der Wilderei, wie viele andere in ihrem Dorf, sondern sie geht weiter ihrem Beruf nach, restauriert ein altes, frisch freigelegtes Deckenfresko in der Kirche. Was ihre Frau als Ressourcenverschwendung, als nutzlos im Anbetracht der Probleme der Gegenwart erachtet, sehe ich als Ausdruck einer trotzigen Hoffnung. Als Weigerung dieser Figur alles Schöne, alles Geistige, Kultur und Geschichte, einen Ort der Gemeinschaft und des Erzählens, dem Ruin, der Zerstörung, der „neuen Wildheit der Welt“ wie es im Text heißt, zu überlassen. Die Weigerung, alles, was einmal Wert hatte und nun geringe Priorität besitzt, als für immer verloren aufzugeben. Das Festhalten daran, dass auch nach krisenreichen Zeiten wieder eine Zukunft kommen kann, in der Menschen sich Ruhe, einen Blick nach oben, sich Kunstgenuss gönnen können, sich an alten, durch Bilder überlieferten Geschichten erfreuen können, oder an Spiritualität.
In diesen Tagen und Wochen und – seien wir ehrlich – Jahren, noch zu schreiben, Kurzprosa, Essays, Kinderbücher, Romane, Vollzeit zu schreiben, das Schreiben als Brotjob, den einzigen, zu sehen, daran festzuhalten, entgegen jeglicher Vernunft, fühlt sich für mich, insbesondere nach dem Zeitungslesen oder einem Blick in die sozialen Medien auch so an, als würde ich an etwas Altem, unzeitgemäßen anhängen. Immer öfter scheint mir die Literatur, der Wunsch vom Schreiben langfristig zu leben, es mit so einer Selbstverständlichkeit als meinen Beruf zu bezeichnen, wie Zahnärzte, Buslenkende oder Elektrikerinnen das mit den ihren tun, ebenso realitätsfern, wie das, was meine Figur macht. Es ist vielleicht irgendwie nobel, erfüllend und sehr, sehr schön, aber gleichzeitig grob unvernünftig.
Regelmäßig schlägt mir mein Algorithmus Jobangebote jenseits der Literatur vor. Meine Onlinepräsenz hat ihm verraten, dass ich schreibe und studiert habe, ich würde mich also gut eigenen, um generative KI zu trainieren, bessere Texte zu schreiben, realistischere, literarischere Texte. Ein flexibler, ein zukunftssicherer Job, nennt es die Anzeige, Be Part of the digital Revolution. Diese „Revolution“, sägt bereits jetzt Tag für Tag am generell sehr morschen und instabilen wirtschaftlichen Fundament von uns Künstler*innen. Wir hätten sie, diesen neuen Druck, unsere Texte, Grafiken und Bilder gegen die Machwerke von Maschinen, die unsere Arbeit gratis machen, und sie damit entwerten, wirklich nicht auch noch gebraucht.
Wir hatten auch davor schon genug zu kämpfen. Und, wie in vielen – ich würde fast sagen, allen Lebensbereichen, müssen manche von uns noch härter arbeiten als andere.
Um Ihnen zu verdeutlichen, was ich meine, habe ich Ihnen ein paar Zahlen und Statistiken über die freie Kulturszene und den Literaturbetrieb mitgebracht. 76% der in Zeitungen rezensierten Bücher stammen von männlichen Autoren.[i] Nur 13% aller Literaturnobelpreise gingen an Frauen.[ii] Derzeitige Lektüreempfehlungslisten für den Schulunterricht an österreichischen Schulen bestehen zu 88% bis 100% aus den Werken „alter weißer Männern“.[iii] Die Lektüreliste, die mir 2009 als ich in Salzburg mein Germanistikstudium begann, ausgeteilt wurde, umfasste 223 Titel, davon 18 Bücher von 10 Autorinnen. Das Ungleichgewicht, das diese Zahlen repräsentieren, wirkt auch jenseits der Leselisten weiter. Es hält den Irrglauben am Leben, Literatur von Frauen wäre weniger wichtig, weniger wert. Der Gender Pay Gap macht auch vor dem Literaturbetrieb nicht halt. Wir wissen, dass Autorinnen im Schnitt niedrigere Vorschlüsse und niedrigere Gagen bei Auftritten bekommen, was sich direkt im Einkommen niederschlägt:
Nach einer Auswertung der deutschen Künstlersozialkasse wissen wir, dass sich das Durchschnittseinkommen von Autor*innen dort 2023 auf 24.521€ brutto belief.[iv] Nur im Vergleich: das deutsche Durchschnittsbruttojahresgehalt beträgt 49.000€.[v] Schreibende verdienen also die Hälfte des Durchschnittsmenschen. Rechnet man den Gender Pay Gap, der sich je nach Quelle im Literaturbetrieb zwischen 20- und 25% bewegt mit, sind wir bei einem Jahreseinkommen von deutlich unter 20.000€ bei schreibenden Frauen.[vi] Und damit verdammt nahe an der Armutsgrenze.
Gender Pay Gap oder nicht: 94,3% aller Autor*innen in Deutschland können davon nicht leben. In Österreich sieht es nicht anders aus.
Wundert Sie das? Hätten Sie das nicht gedacht? Ich vermute die Antwort ist „Nein.“ Wahrscheinlich liegt es daran, dass man es der Autorin mit den drei Romanen aus dem mittleren österreichischen Verlag nicht ansieht, dass es nur geht, weil der Mann okay verdient. Weil von der anderen Kollegin niemand weiß, dass sie in einer 5er-WG wohnt. Oder in den Sozialmarkt einkaufen geht. Dass sie geerbt hat. Dass der schicke Bühnenblazer aus dem Second Hand Shop ist, nicht, weil es nachhaltig ist, sondern, weil es sein muss. Dass sie, wenn sie das nächste Stipendium wieder nicht bekommt, zurück in den alten Job muss, und daher nicht zwei, sondern fünf Jahre bis zum nächsten Buch vergehen würden. Sehen Sie es ihrer Lieblinglyrikerin an? Dass sie Mindestpension bekommt? Bei der Künstlersozialversicherung wegen Unterstützung für Zahnersatz ansuchen muss? Sehen Sie es ihnen an? Den Kolleginnen auf den Bühnen, im Fernsehen, im Feuilleton? Sehen Sie es mir an?
Und jetzt, wo Sie es wissen, was machen Sie mit diesem Wissen? Was ist Kunst, was ist Literatur, wert? Wie viel ist es Ihnen wert? Ist Literatur wertvoll genug, kulturstiftend, gesesellschaftsprägend, unterhaltsam, lehrreich, was auch immer genug, um etwas zu tun? Zum Beispiel eine Kulturpolitik zu fordern und fördern, die uns erlaubt, das was wir tun, das was Sie genießen, was Ihre Freizeit, Ihre Buchläden, Theater und Museen füllt, unter fair entlohnten Bedingungen zu schaffen, von denen wir nicht nur jetzt gut leben, sondern und auch nicht vor dem Älterwerden fürchten müssen? Dass Sie aufhören unsere Sorgen bezüglich KI-Einsatz in den Künsten als übertreiben, oder technologiefeindlich zu bezeichnen. Haben Sie gewusst, wenn Sie ChatGTP einen Text schreiben lassen, dass es mit unseren Texten, mit Ihren Lieblingsbüchern trainiert wurde, ohne dass wir dem jemals zugestimmt haben, geschweige denn in irgendeiner Form dafür vergütet wurden?
Der heute hier ausgezeichnete Text „Der Wald“, ich habe es schon erwähnt, verhandelt Strategien des Miteinanders und des Bewahrens in Zeiten multipler Krisen, das Fördern und Bewahren von menschen-, von frauengemachter Kunst und Literatur insbesondere, ist eine dieser Strategien. Wenn die Zeiten schwieriger werden, sinkt der kreative Output von Frauen. Wir haben es wahrscheinlich längst verdrängt, aber das macht es nicht weniger wahr. Während der Corona-Pandemie blieben die Veröffentlichungszahlen männlicher Wissenschaftler gleich, die von Forscherinnen gingen signifikant zurück, denn sie waren es, die sich im Homeoffice um Kinder und Haushalt kümmerten.[vii] Was haben wir daraus für die nächste Krise gelernt?
Auch jenseits des Fiktionalen ist Kunstförderung, davon bin ich überzeugt, eine der essenziellen Strategien und Notwendigkeiten, wenn wir wollen, dass unser Kulturbetrieb, wie wir ihn kennen, weiterbesteht, wenn wir wollen, dass regionale oder aufstrebende oder marginalisierte Stimmen nach wie vor gehört werden sollen.
Ich bin dankbar, dass es Programme, Initiativen und Ausschreibungen wie den „Frau-Ava-Preis“ gibt. Preise wie dieser, ermutigen nicht nur zum Weiterschreiben, sondern ermöglichen es auch, finanzieren es, zumindest für eine gewisse Zeit. Ich danke den Kolleg*innen, die mit mir zusammen und für sich allein, gegen die Missstände der Welt anschreien und anschreiben, malen, illustrieren und forschen, insbesondere, den schreibenden, großartigen Frauen vor, hinter und neben mir, die einander mit so viel Solidarität und Schwesterlichkeit begegnen, wie in dieser von ökonomischem Druck und Konkurrenz bestimmte Literaturbetrieb eben zulässt. Ich danke sehr herzlich den Jurymitgliedern Christa Gürtler, Brigitte Schwens-Harrant, Barbara Neuwirth und Claudia Sackl. Ich danke der Frau Ava Gesellschaft, dafür, dass sie den Preis ausschreiben, für all das Herzblut, das Engagement und die Überzeugung für die Sache, die in all die organisatorische Arbeit fließen. Ich weiß, es ist kein Leichtes, als Initiative einen so hoch dotierten Preis mit einem derart vollen, runden Rahmenprogramm über viele Jahre aufrecht zu erhalten. Ich danke ihnen auch dafür, dass sie mit dem Preis die Erinnerung an eine Dichterin am Leben halten, die sonst vielleicht längst vergessen wäre, wie das mit Frauen, die in ihren Disziplinen großartiges geleitest haben, so oft der Fall ist, dass sie und ihr Werk ins Abseits der Geschichte gedrängt werden. Ich jedenfalls hätte, trotz meines Interesses für regionale Geschichte, Literatur und Mediävistik, trotz Alt- und Mittelhochdeutschkursen im Germanistikstudium, ohne diesen Literaturpreis noch nie von Frau Ava gehört.
Ich komme aus Linz, aus einer Familie von VOEST-Arbeitern und Angestellten. Dort ist es üblich, dass Mitarbeiter*innen als Geschenk zur Pension eine gusseiserne Statue der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergarbeitenden geschenkt bekommen. Eine solche Statue, das Erbstück eines verstorbenen Familienmitglieds steht auf einer Kommode bei mir im Wohnzimmer. Jedes Mal, wenn ich vom Badezimmer oder der Küche zurück ins Schlafzimmer gehe, wo auch mein Schreibtisch steht, also mein Arbeitsplatz ist, streift sie mein Blick. Morgen werde ich ihr die Frau Ava-Statuette, die der Bildhauer Leo Pfisterer anlässlich des Preises entworfen hat, zur Seite stellen können. Ich weiß schon, an was diese beiden Frauenfiguren mich dann erinnern werden. Dass Schreiben meine Arbeit ist, meine Arbeit sein wird, so lange es geht. Und dass ich bei aller Mühsal und Plackerei, allem Ärger und den Zweifeln nichts lieber täte, dass ich dankbar bin.
[i] https://www.instagram.com/p/DIQ835Bt29d/?img_index=1
[ii] https://www.instagram.com/p/DIjOq-ItjV2/?img_index=1
[iii] https://igfem.at/feministische-leseliste/
[iv] https://www.instagram.com/p/DG45N8UNrjx/?img_index=4
[v] Ebenda
[vi] Ebenda
[vii] https://www.forschung-und-lehre.de/forschung/gender-publication-gap-2020-groesser-geworden-4086